Medizinprodukte – Vigilanz als Teil des Post Market Surveillance (PMS)-Systems

Die Einführung des europäischen Rechtsrahmens für Medizinprodukte durch die Medical Device Regulation (MDR) und die In-vitro Diagnostic Medical Devices Regulation (IVDR) hat die Anforderungen an die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post Market Surveillance, PMS) in den letzten Jahren deutlich verschärft. Das PMS umfasst sämtliche Prozesse und Systeme, die Hersteller einrichten müssen, um während der gesamten Lebensdauer eines Produkts aktiv und systematisch Daten über dessen Qualität, Leistung und Sicherheit zu sammeln, aufzuzeichnen und zu analysieren. Ein entscheidender Teil dieses umfassenden PMS-Systems ist die sogenannte Vigilanz – der Prozess, der sich insbesondere mit der Meldung sicherheitsrelevanter Vorkommnisse und potenzieller Risiken an die Behörden befasst und entsprechende Korrektur- und Präventivmaßnahmen einleitet.

In diesem Beitrag werfen wir einen detaillierten Blick auf die Vigilanz als integralen, aber nicht alleinigen Bestandteil des PMS-Systems.

Was versteht man unter Vigilanz?

Unter Vigilanz versteht man im Bereich der Medizinprodukte die kontinuierliche und systematische Sammlung, Dokumentation und Bewertung aller sicherheitsrelevanten Daten zu einem Medizinprodukt, nachdem es auf dem Markt eingeführt wurde. Vigilanz bildet damit das Kernstück der behördlichen Meldungspflichten und umfasst unter anderem:

  • Meldungen über Vorkommnisse, wie z. B. Fehlfunktionen oder unerwartete Nebenwirkungen
  • Erfahrungsberichte von Nutzern, z. B. von Ärzten, Pflegepersonal oder Patienten
  • Ergebnisse aus Studien (z. B. Post-Market-Clinical-Follow-up, PMCF)
  • Rückmeldungen von Behörden, Distributoren und weiteren Stakeholdern

Während das PMS-System als Ganzes alle Daten rund um Qualität, Leistung und Sicherheit sammelt, dokumentiert und zur kontinuierlichen Verbesserung des Produkts nutzt, fokussiert sich die Vigilanz in erster Linie auf das Melden sicherheitsrelevanter Ereignisse und den Umgang mit den daraus abgeleiteten Maßnahmen. So wird gewährleistet, dass mögliche Risiken frühzeitig erkannt werden und zeitnah korrigierende oder vorbeugende Schritte eingeleitet werden können. Dies dient nicht nur der Sicherheit der Patienten, sondern stärkt auch das Vertrauen in Medizinprodukte und trägt zu einer nachhaltigen Produktverbesserung bei.

Rechtlicher Rahmen und Verantwortung

1. MDR und IVDR

Mit der MDR (Verordnung (EU) 2017/745) und der IVDR (Verordnung (EU) 2017/746) wurden die Vorgaben für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten in der EU neu geregelt. Beide Verordnungen schreiben Herstellern vor, ein robustes PMS-System einzurichten, zu dem auch die Vigilanz zählt. Das PMS-System hat dabei den übergeordneten Zweck, Daten über die gesamte Lebensdauer eines Medizinprodukts hinweg zu sammeln und zu bewerten.

2. Rollen und Pflichten

  • Hersteller tragen die Hauptverantwortung für die Einrichtung und Pflege eines geeigneten PMS-Systems. Innerhalb dieses Systems müssen sie Prozesse für die Erfassung, Bewertung und Meldung von Vorkommnissen eindeutig definieren und einhalten.
  • Bevollmächtigte (Authorized Representatives) im EU-Raum übernehmen ähnliche Pflichten, falls der Hersteller außerhalb der EU ansässig ist.
  • Vertreiber und Importeure sind verpflichtet, sicherheitsrelevante Vorkommnisse unverzüglich an den Hersteller weiterzuleiten.
  • Behörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Deutschland sammeln und analysieren die Meldungen. Sie können bei Bedarf Maßnahmen anordnen.

Der Prozess der Vigilanz im Kontext des PMS

1. Datenerfassung und Meldemanagement

Der Vigilanz-Prozess beginnt mit der systematischen Erfassung aller relevanten Datenquellen. Diese können sich aus Reklamationen, klinischen Studien, Literaturrecherchen oder Berichten von Gesundheitseinrichtungen ergeben. Sobald eine Meldung eingeht, muss der Hersteller (oder sein Bevollmächtigter) prüfen, ob es sich um ein meldepflichtiges Vorkommnis handelt.

Wichtige Faktoren für ein meldepflichtiges Vorkommnis sind:

  • Todesfälle, schwere Verschlechterungen des Gesundheitszustands oder ernsthafte Risiken
  • Bisher unbekannte oder unerwartete Nebenwirkungen
  • Wesentliche technische Fehlfunktionen, die eine potenzielle Gefährdung darstellen

2. Bewertung und Risikoanalyse

Nach der Erfassung erfolgt die Bewertung der Meldungen: Wie schwerwiegend ist das Vorkommnis? Handelt es sich um ein Einzelfallproblem oder gibt es einen systematischen Fehler? Dazu werden Risikobewertungen auf Basis bereits vorhandener Daten (z. B. aus klinischen Studien oder aus dem Risikomanagement-Prozess) durchgeführt.

3. Korrekturmaßnahmen und Feedback

Aus der Bewertung werden ggf. Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (Corrective and Preventive Actions, CAPA) abgeleitet. Typische Maßnahmen können sein:

  • Rückruf des Produkts oder betroffener Chargen
  • Software-Updates oder Designanpassungen
  • Erweiterungen oder Klarstellungen der Gebrauchsanweisung
  • Anpassung der Verpackung oder Kennzeichnung

Die Vigilanz-Prozesse geben hierbei den Rahmen vor, wann welche Meldungen an die Behörden zu machen sind und welche präventiven Maßnahmen initiiert werden müssen. Eine effektive Umsetzung dieser Maßnahmen setzt voraus, dass alle relevanten Akteure – von Zulieferern bis hin zu Anwendern – zeitnah informiert und geschult werden.

4. Dokumentation und Berichterstattung

Alle Schritte innerhalb des Vigilanz-Prozesses müssen sorgfältig dokumentiert werden, um sowohl den Behörden als auch den Benannten Stellen bei Audits und Inspektionen nachweisen zu können, dass die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind. In der Regel werden dabei folgende Dokumente angelegt oder aktualisiert:

  • Vorkommnismeldungen und deren Zuordnung
  • Risikobewertungen und Analysemethoden
  • Maßnahmenpläne (CAPA-Prozess) und Umsetzungsberichte
  • Nachverfolgung von Maßnahmen (wirken sie wie geplant?)

Praxisnahe Tipps für eine erfolgreiche Vigilanz und PMS

  1. Frühzeitige Planung: Integrieren Sie sowohl PMS- als auch Vigilanz-Prozesse bereits in der Entwicklungsphase des Produktes, sodass Sie bei Markteinführung schnell reagieren können.
  2. Klar definierte Rollen: Stellen Sie sicher, dass Verantwortlichkeiten für PMS und insbesondere die Meldestrukturen der Vigilanz eindeutig zugewiesen sind.
  3. Effizientes Meldemanagement: Bauen Sie interne Kommunikationswege und externe Plattformen (Hotlines, Online-Portale) auf, damit Meldungen sofort den richtigen Ansprechpartner erreichen.
  4. Regelmäßige Schulungen: Schulen Sie Mitarbeiter und Distributoren hinsichtlich Erkennens, Meldens und Umgangs mit sicherheitsrelevanten Ereignissen.
  5. Kontinuierliche Verbesserung: Nutzen Sie die Ergebnisse aus PMS und Vigilanz nicht nur zum Erfüllen rechtlicher Vorgaben, sondern als Chance, Ihre Produkte laufend zu optimieren.

Fazit

Vigilanz ist als zentrales Element des Post Market Surveillance-Systems mehr als nur eine rechtliche Verpflichtung – sie ist ein wesentlicher Bestandteil des Qualitätsmanagements und der Produktverantwortung. Während das PMS ganzheitlich Daten zu Qualität, Leistung und Sicherheit sammelt, konzentriert sich die Vigilanz auf das Meldemanagement und die Einleitung ggf. nötiger Maßnahmen. Durch das kontinuierliche Sammeln, Bewerten und (im Falle von Vorkommnissen) Melden von Daten aus dem Feld kann sichergestellt werden, dass Risiken frühzeitig erkannt und Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden. Auf diese Weise stärkt Vigilanz nicht nur das Vertrauen in ein Medizinprodukt, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag dazu, die eigene Produktpalette ständig zu verbessern und Patientensicherheit langfristig zu gewährleisten.

Wer den Vigilanz-Prozess strategisch plant und ihn in ein ganzheitliches PMS-System integriert, bleibt nicht nur gesetzeskonform, sondern sichert gleichzeitig die Qualitätsstandards und Reputation seines Unternehmens.

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Hinweis: Dieser Artikel dient zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar.

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